Techno unites – But there is still no Party for all
2. Juni 2016

Leider hat folgender Redebeitrag auf der diesjährigen TOLERADE aufgrund technischer Schwierigkeiten und anderer dringender Dinge, keinen Raum gefunden. Wir möchten ihn nun im Nachhinein veröffentlichen, da er an Aktualität nicht verloren hat:

Liebe Freund*innen, liebe Sympathisant*innen, liebe Teilnehmende,

Der Entscheidung, an der diesjährigen Tolerade teilzunehmen und einen Wagen zu stellen, gingen diverse Debatten innerhalb des Jugendtanz-Kollektivs sowie im Kneipen- und Kulturplenum des AZ Conni voraus. Kritikwürdig ist aus unserer Sicht zum einem die Symbolhaftigkeit der TOLERADE. So schafft sie zwar einen offenen Raum und einen geeigneten Rahmen, damit auch Geflüchtete einmal entspannt feiernd durch die Stadt laufen können und lenkt die Aufmerksamkeit auf das wichtige Thema der Toleranz gegenüber und der Integration von Geflüchteten. Doch in Anbetracht des Erlahmens der Proteste gegen PEDIGA und rassistische Bürger*innenbewegungen sowie der ständigen Verschärfung der Asylgesetze wirkt sie auf uns schlicht als eine Beruhigung des bildungsbürgerlichen Gewissens. Zum anderen, was für uns wesentlich schwerer wiegt, sind wir zwiegespalten in unserem Urteil zu Teilen des Organisationskreises der Tolerade. Letztlich eintschieden wir uns dennoch diesen öffentlichen Raum zu nutzen, denn wo könnten diese Kritik und unsere politischen Forderungen besser artikuliert werden?

Ein Widerspruch par excellence ist (für uns) bspw. die erneute Wahl des „Sektor Evolution“ als Zielort der Tolerade, obwohl dort seit Jahren bekanntermaßen Thor Steinar Träger*innen an der Tür stehen und auch im Publikum Nazis keine Seltenheit sind und dort geduldet werden.

Absurd ist gleichwohl das Engagement einiger Clubs und Bars in der Finanzierung der sogenannten „Neustadtstreife“, die unter dem Label „respect – save the crowd“ Anfang der Jahres für mehrere Wochen für mehr „Sicherheit und Ordnung“ in der Neustadt sorgen sollte. Der Name dieser Security-Streife soll offenbar über den rassistischen Hintergrund ihrer Entstehung hinwegtäuschen, denn der Groovestation-Chef Klaus Körner äußerte am 15.01.16 gegenüber MOPO24 zum Motiv der Initiative, dass eine Gruppe von Nordafrikanern regelmäßig Gäste in Kneipen und Clubs belästige, Betrunkene bestehle und vermehrt für Ärger sorge. Damit bedient er nicht nur altbekannte Klischees à la PEGIDA, sondern suggeriert auch, dass die bis dahin bereits von vielen Clubs praktizierte rassistische Türpolitik im Sinne von racial profiling nicht mehr ausreiche, um dem subjektiven Sicherheitsgefühl der vermeintlich alternativen Besucher*innen des Szeneviertels Neustadt zu entsprechen.

Es ist fatal zu glauben, dass sexistische Verhaltensweisen, Diebstähle, Drogenverkauf und allgemeine Aggressionen auf Partys an eine bestimmte Herkunft oder Hautfarbe gekoppelt seien. Vielmehr sind diese Verhaltensweisen tief verwurzelt in der (Dresdner) Clubszene, die um einiges älter ist als die sogenannte „Flüchtlingswelle“. Früher wurden die Hinweise auf solche Probleme als feministisches Geschwätz abgetan, heute, wo sie sich gegen Nicht-Deutsche richten, sind sie der ideale Anlass, die autoritäre Türpolitik vieler Clubs auf die Straßen der Neustadt auszuweiten. Wir stimmen der Ortsbeirätin Kristin Hoffmann zu, wenn sie sagt, dass organisierte und eventuell noch leicht bewaffnete Männergruppen nicht dazu beitrügen, das Klima im Viertel zu verbessern. Im Gegenteil, wenn selbst die sächsische Polizei feststellt, dass der allgemeine Kriminalitätsanstieg mit dem wachsenden Einkommensgefälle der Gesellschaft einhergeht – so geschehen in einem Artikel in der Sächsischen Zeitung vom 7. Oktober 2015 –, so hätten die Kneipen und Clubbesitzer*innen der ehemals bunten Neustadt ihre tausenden Euros und ihre Zeit, die für Absprachen mit Polizei und Stadtverwaltung draufgingen, doch besser in die Auseinandersetzung um gute Unterbringung, die Sicherung des Existenzminimums sowie bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete investieren sollen.  


Eine freie Partykultur setzt eine freie und emanzipierte Gesellschaft voraus. Hierfür reicht es nicht, ausschließlich gegen Rassismus auf die Straße zu gehen; auch Ableismus, Sexismus, Homophobie sowie soziale Ausgrenzung müssen endlich als zentrale Probleme dieser Gesellschaft wahrgenommen werden. 

Wieso beginnen wir nicht einfach hier und heute damit und übernehmen mehr Verantwortung für einander, achten gegenseitig auf uns und schreiten ein, wenn die Grenzen anderer überschritten werden. Damit würden wir nicht nur eine „Neustadtstreife“ überflüssig machen – deren rechtlicher Handlungsspielraum im Übrigen der gleiche ist, wie der aller Neustadtbesucher*innen – sondern auch das Lebensgefühl derjenigen verbessern, die täglichen Diskriminierungen und Anfeindungen ausgeliefert sind.